Als 1944 György´s Vater sich von der Familie verabschieden muss, weil er ins Arbeitslager muss, empfindet der fünfzehnjährige das noch nicht als besonders schlimm. Es ist ihm eher peinlich, dass sein Vater sich mit so viel Rührseligkeit von ihm verabschiedet. Auch das veränderte Verhalten, das ihm als Jude in der letzten Zeit verstärkt entgegenschlug, nimmt er zwar wahr, hinterfragt es aber nicht wirklich. Auch sein eigener Arbeitseinsatz ist für ihn, als es an der Zeit ist, etwas Gegebenes, das es nun eben zu erfüllen gilt.
Diese Bereitwilligkeit verlässt ihn auch nicht, als er eines morgens gemeinsam mit den anderen Juden aus dem Bus geholt wird, in der Gruppe festgehalten wird, um dann nach Auschwitz verfrachtet zu werden.
Immer wieder liest man jetzt die Beschreibungen, die man eigentlich sattsam kennt - von der langen Zugfahrt ohne Verpflegung, zusammengepfercht im Waggon, von der Ankunft in Auschwitz-Birkenau, der Selektion in *arbeitsfähig* oder *Gaskammer*; von den Lagern, den Krematorien, der mangelhaften Verpflegung im Lager - aber diesmal liest man es aus einer etwas anderen Perspektive.
Der Fünfzehnjährige erlebt seine Odyssee mit einer erschreckenden Bereitwilligkeit; immer wieder findet er logische Begründungen, warum er diese Schikane noch hinnehmen soll, warum diese Qual notwendig ist; er bewundert die Organisation der Deutschen, ihre Akkuratesse, die effiziente Logistik; als Leser, der ja weiß, wie viele Menschen hier getötet wurden, ist es oft schwer zu ertragen, diese naiven Kommentare vor sich zu sehen.
Aber gerade auch in dieser Unschuld liegt die Qualität des Buches; im Gezwungenwerden, den Blickwinkel wieder etwas zu ändern, immer neue, noch erschreckendere Details zu erfahren. Das Gefühl der Ohnmacht, der Wunsch, diese vielen Jungen mögen doch weglaufen, als es noch an der Zeit ist, sich zur Wehr setzen, wird beim Lesen beinahe übermächtig; und darauf will der Autor in meinen Augen ja auch hinweisen: es gehören immer zwei dazu, einmal die Unterdrücker - und auch die Unterdrückten, damit ein Schreckensregime funktionieren kann. Der Wunsch, ein möglichst guter Gefangener zu sein, der Ehrgeiz, diese neue, so wenig selbstgewählte Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen, scheint in der Natur des Menschen zu liegen. Und genau dagegen schreibt Kertész an.
Der Autor:
Imre Kertész, wurde 1929 in Budapest geboren, 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Nach seiner Reifeprüfung im Jahre 1948 begann er zunächst, für eine Tageszeitung zu schreiben. "Roman eines Schicksallosen", geschrieben zwischen 1960 und 1973, wurde lange Zeit in seiner Heimat verboten. 1976 begann seine übersetzerische Tätigkeit - er übersetzte die Werke Nietzsches, Freuds, Hoffmansthals, Canettis, Schnitzlers, Joseph Roths und Wittgensteins. 2002 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet