Unerschütterlich glaubt der erfolgreiche Ingenieur Walter Faber, dargestellt von dem bekannten Dramatiker und Gelegenheitsschauspieler Sam Shepard, an die Berechenbarkeit aller Existenz.
In seinem technokratischen Weltbild haben Zufälle und Emotionen keinen Platz. Durch seine Rationalität glaubt sich Faber gewappnet gegen das Schicksal, bis eines Tages sein Flugzeug in der Wüste notlandet. Dies ist der Beginn einer Reise, von der er anders zurückkehrt, als er aufbrach: eine "Kette von Zufällen" wird für Faber zum nicht mehr kalkulierbaren Verhängnis.
Weil bisherige Pläne zur filmischen Umsetzung der Romanvorlage des Schweizers Max Frisch nie verwirklicht worden waren, entschloß sich der für Literaturverfilmungen international bekannte Regisseur Volker Schlöndorff 1988 schließlich, das Vorhaben zu realisieren.
Als deutsch-französische Co-Produktion unter Beteiligung einer griechischen Firma wurden die Dreharbeiten im Juni 1990 beendet. Premiere hatte der fertige Film im Januar 1991, im März 1991 lief er in den bundesdeutschen Kinos an.
Gedreht wurde an den verschiedenen Originalschauplätzen, in der mexikanischen Wüste, in Paris, New York, Italien und Griechenland mit Schauspielern aus den beteiligten Ländern.
Doch trotz seiner Internationalität war der Film in erster Linie wohl für den deutschsprachigen Markt bestimmt.
In Amerika lief er unter dem Titel "Voyager" nur kurze Zeit, wohingegen er in Deutschland – vermutlich hauptsächlich aufgrund der Popularität der Literaturvorlage – 19 Wochen ganz oben auf der Hitliste der besucherstärksten Filme rangierte und trotz Videovertriebs seit 1992 noch lange in den Programmkinos gezeigt wurde.
Die Kritiken zum Film verraten jedoch nahezu ohne Ausnahme Enttäuschung darüber, daß die Romanvorlage fast ausschließlich auf die Liebesgeschichte reduziert worden sei und die wesentlichen Inhalte, die zeitkritischen, mytologischen und philosophischen Dimension der Vorlage ausgeklammert blieben.
Wie bereits bei zweien seiner früheren Filme hatte Volker Schlöndorff auch bei der Adaption von "Homo faber" die Möglichkeit, den Autor der Romanvorlage kennenzulernen und eng mit ihm zusammenzuarbeiten.
Max Frisch übte sowohl auf das Drehbuch als auch auf die Besetzung bis hin zur endgültigen Montage und Synchronisation maßgeblichen Einfluß aus und zeigte sich mit dem Ergebnis von Schlöndorffs Arbeit durchaus zufrieden.
So erinnere ihn, sagte Frisch, die Französin Julie Delpy tatsächlich an das echte Vorbild Sabeths.
Homo Faber (Max Frisch/ Volker Schlöndorff) - Interpretation
Der Film läßt sich als Inszenierung einer Erinnerung verstehen.
Diese Erinnerung führt jedoch nicht zu einer neuen Zukunftsperspektive des Protagonisten, sondern läßt das Leben retrospektiv werden und auch in der Rückblende verharren.
Am Ende hat er alles gewonnen und auch wieder verloren: Faber gewinnt eine Geliebte und genießt die eigene Emotionalität, er gewinnt Kontakt zu seiner ehemaligen Freundin, gewinnt eine Tochter, doch damit verliert er gleichzeitig wieder die Geliebte, und der Inzest macht ihm auch den weiteren Umgang mit ihrer Mutter unmöglich.
Den Schutz durch seine technokratische Selbstsicherheit hat er verloren, und durch den Tod Sabeths fehlt ihm der Sinn für seine bloßgelegte Empfindsamkeit.
Sein Leben hat für ihn keine Perspektive mehr, Zukunft gibt es nicht mehr und die Gegenwart lebt für Faber nur noch aus der Vergangenheit.
Obwohl für Schlöndorff die Liebeshandlung im Vordergrund steht, setzt er doch genau diese Entwicklung und Erkenntnis des Protagonisten filmisch um.
Der Regisseur adaptierte Frischs gleichnamigen "Roman in zwei Stationen", von denen er nur die erste Station für seinen Film verwendete, nicht als reine Illustration, sondern er war aus dramaturgischen Gründen gezwungen, die Handlung an einigen Stellen umzuformen.
Dennoch war es Schlöndorff sehr wichtig, sich mit seiner Filmaussage möglichst eng am Text Frischs zu orientieren.
Die literarische Vorlage – ein als rekonstruiertes Tagebuch bereits deutlich szenisch angelegter Text mit einer reflektierten Schilderung der Ereignisse aus Fabers Ich-Perspektive – bot für eine Adaption günstige Voraussetzungen.
Schlöndorff gestaltete eine kurze Rahmenszene, die die Haupthandlung zu Beginn des Films und am Ende umschließt. Innerhalb dieser Haupthandlung spricht Faber als Erzähler hin und wieder Kommentare, die für den Zuschauer nochmals betonen sollen, daß sich die Handlung in Vergangenheit und Erinnerung abspielt.
Doch wechselt die filmische Erzählsituation häufig auch zur personalen Erzählweise: die Geschehnisse werden nicht ausschließlich, wie im Roman, aus Fabers Sicht präsentiert, sondern multiperspektivisch aufgefächert dargestellt.
Die Ebene der Haupthandlung selbst ist bereits nur Erinnerung, darüberhinaus werden jedoch noch weitere Erinnerungsstufen Fabers in sie integriert.
Diese Einbettungen macht Schlöndorff durch unterschiedliche Filmtechniken und -färbungen wie. Schmalfilm ("Film im Film") oder Pastellfarben für die Erinnerung an die Jugend mit Hanna deutlich.
Auch die Zeitlupe dient als filmsprachliches Instrument, um besonders traumatische Ereignisse wie die Flugzeugnotlandung oder Sabeths Sturz zu inszenieren.
Aus Frischs literarischer Vorlage hat Schlöndorff bestimmte Symbole übernommen und bildlich umgesetzt: vor allem mythologische Mädchen- und Frauenbildnisse besitzen konnotative Funktion. Aphrodite, die Göttin der Liebe, steht z.B. einerseits für Fabers Liebe zu Sabeth und deren erotische Anziehungskraft auf ihn, andererseits will Schlöndorff auf diese Weise eine mythologische Bedeutungsebene heraufbeschwören, die es dem Zuschauer ermöglicht, den tragischen Handlungsverlauf (Vater-Tochter-Motiv der griechischen Sagenwelt) vorherzusehen.
Für die besondere Ästhetik seines Films nutzt Schlöndorff auch die Möglichkeit der Ton- und Musikmontage.
Auf der sprachlichen Ebene gibt es den normalen Dialog und den erzählenden Faber, der aus dem Off kommentiert. Darüberhinaus gibt es musikalische Leitmotive, z.B. zur Erinnerung an Hanna, zur Reise mit Sabeth, und Musik, die neben der Etablierung von Raum und Zeit auch emotionalisiert und kommentiert.
www.bildung.hessen.de